Kapitel 6: Nervensysteme

Welche Verbesserungen der Funktion haben Markstränge und Cephalisation für die phylogenetische Entwicklung der Nervensysteme?

Ausgehend von diffusen Nervennetzen bietet eine Strangbildung den Vorteil einer schnelleren Fortleitung entlang der Körperachse. Unter Cephalisation versteht man die Zunahme von Nervengewebe am rostralen (vorderen, kopfseitigen) Ende des Nervensystems, womit im Laufe der Evolution zunehmend komplexere Strukturen und damit differenziertere Funktionen entstehen konnten.

Nennen Sie die fünf Abschnitte des Wirbeltiergehirns und seine besonderen Funktionsmerkmale!

Myelencephalon Medulla oblongata vegetative Steuerzentren (Atemzentrum), Reflexe, Hirnnervenkerne

Metencephalon Cerebellum + Pons höchstes sensibles motorisches Koordinationszentrum, Feinabstimmung und Zeitstruktur

Mesencephalon Tegmentum + Tectum wichtig für zentrale Motorik, Okulomotorik

Diencephalon Hypothalamus / Thalamus höchstes vegetatives Zentrum / Relais + Gatecontrol

Telencephalon Cortex cerebri + Basalganglien höhere sensorische und motorische Funktionen
 

Was unterscheidet symmetrische und asymmetrische Zellteilungen in der Neurogenese?

Symmetrische Zellteilungen stehen am Anfang der Hirnbildung und bestimmen die Größe z.B. der kortikalen Platte und damit die Oberfläche des Telencephalons. Die später einsetzenden asymmetrischen Zellteilungen sind für das Dickenwachstum des Hirnmantels verantwortlich. Bei symmetrischen Zellteilungen entstehen identische Neuroblasten, während asymmetrische Zellteilungen aus einer Vorläuferzelle eine weitere Vorläuferzelle und eine Nervenzelle hervorbringen. Durch die Regulation dieser beiden Zellteilungstypen lassen sich ~1000-fache Unterschiede der Oberfläche und nur ~3-fache Unterschiede in der Dicke zwischen der Hirnrinde von Mensch und Maus erklären.
 

Warum ist die Regeneration von peripheren Nerven erfolgreicher als die Regeneration von zentralem Nervengewebe?

Im peripheren Nervensystem müssen nach Verletzungen „nur“ Fortsätze (Axone) nachgebildet werden, während im zentralen Nervensystem meist auch Zellkörper, Glia und Gefäße mit betroffen sind. Zur Regeneration peripherer Axone müssen lediglich Prozesse aktiviert werden, die während der frühen ontogenetischen Entwicklung bereits erfolgreich abliefen. Für diesen Regenerationstyp ist es essenziell, dass der nachwachsende Axonstumpf mit den Schwann’schen Zellen (Glia) in Kontakt kommt, die für das Wachstum erforderliche Substanzen (z.B. Fibronectin) sezernieren. Nach Schädigung zentraler Neurone kommt es häufig nur zur Bildung einer Glianarbe, die durch Aktivierung der Mikroglia i.S. einer Immunabwehrreaktion und lokalen Entzündungsreaktion hervorgerufen wird.
 

Was versteht man unter einem rezeptiven Feld?

Unter einem rezeptiven Feld versteht man denjenigen Ausschnitt aus einem Sinnesraum (somatosensorisch: Hautoberfläche, visuell: Gesichtsfeld, auditorisch: Zeit-Frequenzabschnitt), von dem aus durch Reizung die Aktivität einer Nervenzelle beeinflussbar ist.
 

Was unterscheidet Proprio- von Exterozeptoren?

Propriozeptoren detektieren und nehmen interne (meist mechanische) Reize auf, während Exterozeptoren äußere Reize von der Körperoberfläche aufnehmen, aber auch wie im Falle der Gravitation, Reize die von außen kommen aber überall wirken. Besonders wichtige Propriozeptoren, die für Bewegungen wichtig sind, messen Muskellänge und Gelenkstellung
 

Bei Berührung äußerer Medien welcher Temperaturen werden welche Hautrezeptoren aktiviert?

Kaltrezeptoren: 18–35°C

Warmrezeptoren: 30–42°C

Schmerzrezeptoren: <<18 und >42°C

Über welche Bahnen werden Schmerzreize ins Gehirn geleitet?

Schmerzreize werden von freien Nervenendigungen in der Haut und anderen peripheren Organen aufgenommen. Die dazugehörigen Neurone haben Ihre Zellkörper in den Spinalganglien, d.h. nahe der Eintrittsstelle der Spinalnerven in die Wirbelsäule. Die Fasern ziehen dann mit der Hinterwurzel in das Hinterhorn und geben – je nach Fasertyp – ihre Signale über Synapsen in verschiedenen Schichten des Hinterhorns an das 2. Neuron der Schmerzbahn weiter: C-Fasern kontaktieren weiterleitende Neurone in Schicht I und II, während Aδ-Fasern ihre Signale auch an die tieferen Schichten V und VI abgeben. Die zweiten Neurone der Schmerzbahn senden ihre Axone über die Commissura alba zur Gegenseite und dann entweder über den Tractus spinothalamicus anterior zum lateralen Thalamus (Zwischenhirn) VPL, VPI, CL oder aber über den Tractus spinothalamicus lateralis zum posterolateralen Thalamus (VPI, VM), von wo die 3. Neurone der Schmerzbahn in Richtung der Inselrinde (in der Tiefe der Schläfenfurche) und dem vorderen cingulären Kortex (im vorderen Interhemisphärenspalt) projizieren.

Was unterscheidet passive und aktive Elektroortung?

Bei der passiven Elektroortung kommen sehr empfindliche (ampulläre) Organe vor, die relativ niederfrequente (<40Hz) und schwache elektrische Felder (von wenigen µV/cm) detektieren. Bei Tieren, die aktive Elektroortung einsetzen werden höherfrequente (10Hz bis mehrere kHz) elektrische Felder selbst erzeugt und über unempfindlichere (tuberöse) Organe detektiert. Die Frequenz dieser Felder kann zur Vermeidung von Interferenz mit herannahenden Artgenossen schnell verändert werden.

Welche Prinzipien liegen der Wahrnehmung von Schwerkraft (Lage) und (Dreh-)Bewegung zugrunde?

Träge Strukturen wie Statolithen und / oder Endolymphe werden durch die Schwerkraft oder Bewegungen relativ zu ihrer organischen Umgebung (Statocysten, Bogengänge) beschleunigt, wodurch meist Haarzellen stimuliert werden und die mechanische Energie in elektrische Potenziale transduzieren, die dann meist in Aktionspotenziale zwecks Weiterleitung transformiert werden.

Wie erklärt sich die tonotope Kodierung der Cochlea?

Die Cochlea ist so aufgebaut, dass sich Schallwellen als Wanderwellen von ihrer Eintrittsstelle an der Basis (Foramen ovale) bis zur Spitze (Helicotrema) in der Scala vestibuli ausbreiten und je nach Frequenz ein Schwingungsmaximum an einer der Frequenz entsprechenden Stelle ausprägen. Das Corti-Organ enthält auf seiner ganzen Länge Haarzellen, die für Frequenzen zwischen 16000 Hz (Maximum) an der Basis und 20 Hz (Minimum) am Helicotrema die Schallenergie in Membranpotenziale umsetzen. Man bezeichnet diesen Kodierungsvorgang als Frequenz-Orts-Transformation und die funktionelle Topographie der Cochlea als tonotop.

Wodurch unterscheiden sich Geruchs- und Geschmackssinn?

Zunächst unterscheiden sich Geruchs- und Geschmackssinn zumindest bei landlebenden Tieren als Fern- und Nahsinn, bei wasserlebenden Arten kann der Geschmackssinn auch Substanzen aus größerer Entfernung detektieren. Darüber hinaus unterscheiden sich die beiden chemischen Sinne in der Zahl an Qualitäten. 5 verschiedene Qualitäten sind beim Geschmack vorhanden, beim Geruch sind je nach Spezies bis 1000 Gene zur Rezeptorbildung verfügbar. Bei Wirbeltieren sind Geruchsrezeptoren primäre Sinneszellen, während Geschmacksrezeptoren sich von Epithelzellen ableiten und daher als sekundäre Sinneszellen bezeichnet werden.

Was unterscheidet ein Komplexauge von einem Linsenauge?

Linsenaugen der Wirbeltiere sind invers, d.h. das Licht trifft erst auf die tiefen Schichten der Retina und muss deren Neuropil erst durchdringen, bevor es die Photorezeptoren erreicht. Dahingegen sind bei den Komplexaugen die Photorezeptoren dem Licht zugewandt, d.h. sie sind evers. Hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit sind Linsenaugen mit ihrer räumlichen Auflösung den Komplexaugen weit überlegen (Biene 1° Sehwinkel = 3600 Winkelsekunden, Mensch = 25 Winkelsekunden). Dahingegen ist die zeitliche Auflösung von Komplexaugen oft viel besser als diejenige von Linsenaugen (Fliege 160 Bilder pro Sekunde, Mensch ~20/s).

Was unterscheidet einen Eigen- von einem Fremdreflex?

Bei Eigenreflexen sind Rezeptor und Effektor im selben Organ bzw. Muskel, während bei Fremdreflexen die Rezeptoren in der Haut sitzen können (z.B. Schmerzfasern) und die Effektoren oft mehrere Muskelgruppen, die koordiniert eine Extremität aus dem Gefahrenbereich ziehen. Somit sind viele Fremdreflexe eher zum Schutz da, während Eigenreflexe der Stabilisierung des Muskeltonus und der Haltung insgesamt dienen.

Welche antagonistischen Einflüsse übt das vegetative auf das enterische Nervensystem wie aus?

Der größte Teil des enterischen Nervensystems wird vom parasympathischen Teil des vegetativen Nervensystems in Form des X. Hirnnervs (N. vagus) innerviert. Der sympathische Teil des vegetativen Nervensystems innerviert den Magen-Darm-Kanal über den thorakalen und oberen lumbalen Teil des Grenzstrangs (Paravertebralganglien) und den Plexus solaris (Ganglion coeliacum und Ganglion mesentericum superior). Die präganglionären Neurone beider vegetativer Teilsysteme verwenden Acetylcholin als Transmitter, genauso wie die postganglionären Neurone des Parasympathikus, während die postganglionären Neurone des Sympathikus mit Noradrenalin Einfluss auf die Effektorzellen nehmen. Die postsynaptischen ACh-Rezeptoren, auf die präganglionäre Neurone Wirkung nehmen, sind vom nikotinischen Typ während die Rezeptoren, auf die postganglionäre Neurone wirken, vom muscarinischen Typ sind. Erstere sind schnell wirkende ionotrope Rezeptoren, während Letztere langsame und langanhaltend wirkende metabotrope Rezeptoren sind. Grundsätzlich kann man die Wirkung des Parasympathikus auf den Magen-Darm-Kanal als aktivierend, die Verdauungsfunktionen verstärkend beschreiben, während der Sympathikus die Verdauungsfunktionen hemmt, um für Fluchtverhalten oder andere auf die Umwelt gerichtete Tätigkeiten ausreichend Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Cookie-Einstellungen