Kapitel 10: Mutation und Reparatur

Welche Typen von Mutationen gibt es? Welches ist das Hauptkriterium für eine Klassifizierung?

Es wird zwischen Punkt-, Chromosomen- und Genommutation unterschieden. Hauptkriterium für die Unterscheidung ist die Organisationsstufe bzw. die Strukturebene der DNA.

Welche Arten der Punktmutationen gibt es?

Punktmutationen sind Mutationen, die nur auf ein oder wenige aufeinanderfolgende Nucleotide beschränkt sind. Hierzu gehören die Insertion (Einbau weiterer Nucletide) und die Deletion (Verlust von Nucleotiden). Beide Mutationen verändern bei Protein-codierenden Genen das Leseraster und werden entsprechend als Rasterschub-Mutationen bezeichnet. Bei dem Einbau eines falschen Nucleotids (Substitution) kann es sich um eine Transversion (Austausch einer Purin-Base gegen eine Pyrimidin-Base) oder um eine Transition handeln (Einbau einer anderen Purin- bzw. Pyrimidin-Base anstelle der normalen Purin- bzw. Pyrimidin-Base).

Was ist eine "stille Mutation"?

Eine stille Mutation liegt dann vor, wenn es zwar zu einer Veränderung der Nucleotidabfolge im Genom gekommen ist, dies aber ohne Konsequenzen bleibt. Da der genetische Code degeneriert ist (einige Aminosäuren werden bereits durch die ersten beiden Basen eines Codons eindeutig bestimmt), kann eine Substitution an der dritten Codon-Stelle folgenlos bleiben.

Welche Arten der Chromosomenmutationen gibt es?

Chromosomenmutationen betreffen die Chromosomenstruktur. Hierbei kann es sich um Deletionen (Verluste von Chromosomen-Bereichen), Insertionen (Einbau von zusätzlichem Material), Duplikationen (Verdoppelung von Chromosomen-Abschnitten), Inversionen (Umkehrung der Anordnung eines Abschnitts innerhalb eines Chromosoms) oder um Translokationen (Übertragung eines Chromosomen-Teils auf ein anderes Chromosom) handeln. Je nachdem ob Bereiche innerhalb eines Chromosoms oder zwischen zwei Chromosomen ausgetauscht sind, spricht man von intrachromosomalen oder interchromosomalen Mutationen. Ein spezieller Fall ist die numerische Chromosomenmutation oder Genommutation. Hier ist die Anzahl der Chromosomen verändert.

Sind Mutationen immer einhergehend mit Verlust von Erbinformation?

Nein, bei Translokationen, Duplikationen oder Genommutationen (zusätzliche Chromosomen) liegt nicht automatisch ein Verlust von Erbinformation vor. Solange sich entsprechende Bereiche auf Chromosomen befinden, welche ein Centromer besitzen kann die Erbinformation auch weitergereicht werden. Genommutationen (zusätzliche Chromosomen) können weitreichende Konsequenzen unterschiedlicher Art haben. Bei Tieren und beim Menschen sind solche Veränderungen meist letal oder führen zu Fehlbildungen bzw. Behinderungen. Bei Pflanzen können solche Mutationen hingegen zu größeren Erträgen führen

Was sind "homöologe" Chromosomen?

Homöologe Chromosomen besitzen zwar einen ähnlichen Genbestand, stammen jedoch aus zwei verschiedenen, aber nahe verwandten Arten. Sie können durch Bastardisierung zusammenkommen. Da sie nicht homolog sind, können sie nur in seltenen Fällen während der Meiose eine korrekte Paarung eingehen. Daher sind entsprechende Bastarde häufig steril.

Was versteht man unter "adaptiven Mutationen"?

Die meisten Mutationen entstehen spontan und sind ungerichtet. Das heisst, es ist zufällig, ob sich die Mutation vorteilhaft oder nachteilig auf den Organismus auswirkt. Bei Bakterien wurde aber auch beobachtet, dass es unter bestimmten Bedingungen (z.B. Mangel bestimmter Substrate) zu einer höheren Anzahl von angepassten Mutanten kommt als dies aufgrund der normalen Mutationsrate zu erwarten wäre. Dies wird als "adaptive Mutation" bezeichnet. Die Grundlagen hierzu sind noch weitgehend unbekannt. Zwar wurde gezeigt, dass Bakterien unter entsprechenden Bedingungen eine höhere Mutationsrate aufweisen und auch die DNA-Syntheserate gesteigert ist, aber inwieweit Mutationen tatsächlich "gezielt" ausgelöst werden können, ist unbekannt.

Wodurch entstehen Mutationen? Wie werden zufällige (random) bzw. zielgerichtete (site directed) Mutationen im Laborexperiment durchgeführt? Nennen Sie Beispiele für praktische Anwendungen!

Ganz allgemein werden Mutationen fast immer durch chemische Veränderungen an dem Erbmaterial (DNA, bei einigen Viren RNA) hervorgerufen. Zu diesen Veränderungen gehören z.B. Verlust von Molekülgruppen (z.B. Desaminierungen von Basen oder der ganzen Base) oder die Übertragung von Molekülgruppen (z.B. Alkylierung). Weitere Reaktionen sind Oxidationen und hydrolytische Spaltungen. Die Reaktionen sind nicht auf die Basen beschränkt; Strangbrüche sind z.B. die Folge von hydrolytischen Spaltungen. Auch ionisierende Strahlungen können Veränderungen an dem Erbmaterial hervorrufen. Einige Substanzen wirken mutagen ohne direkt mit der DNA chemisch zu reagieren. Diese Substanzen lagern sich zwischen die Basenstapel der Doppelhelix ein (sogenannte interkalierende Substanzen). Werden die Schäden bzw. Substanzen nicht beseitigt, kann es bei der Replikation zum Einbau falscher oder zusätzlicher Nucleotide kommen. Ungerichtete (random) Mutationen werden im Laborexperiment meist durch Bestrahlungen (UV-Licht) oder durch Verabreichung mutagener Substanzen ausgelöst (meist alkylierende Substanzen). Die Stellen, an denen die Mutationen erfolgen sind genauso wenig wie deren Folgen vorhersehbar. Solche Experimente werden angewendet, wenn bestimmte Eigenschaften "hochgezüchtet" werden sollen, aber die molekularen Ursachen für diese Eigenschaften unklar sind. Beispiele hierfür sind Abbau- oder Syntheseleistungen bei Mikroorganismen (z.B. Abbau von Umweltgiften). Die entstehenden Mutanten werden dann im Hinblick auf diese Stoffwechselleistungen untersucht. Zielgerichtete (site directed) Mutationen werden mithilfe gentechnischer Methoden durchgeführt. Hierbei kann es sich um Veränderungen einzelner Nucleotide oder um das Einbringen ("knock in") bzw. Ausschalten ("knock out") ganzer Gene handeln. Für den Austausch einzelner Nucleotide werden synthetische DNA-Fragmente hergestellt, die die gewünschte Sequenz enthalten. Diese Fragmente sind in der Lage, sich unter Ausbildung einer Fehlpaarung (mismatch) an die Wildtyp-DNA anzulagern. Die synthetischen DNA-Fragmente werden mithilfe von RNA-Polymerasen verlängert und amplifiziert (z.B. durch Polymerase-Kettenreaktion, PCR). Die veränderte DNA wird dann in die Zellen eingebracht. Bei Mikroorganismen werden meist Plasmide zum Einbringen zusätzlicher Gene verwendet. Dies ist die Standardmethode, um z.B. bestimmte Proteine in Mikroorganismen in größeren Mengen herzustellen. Durch Flankierung eines fremden Gens mit DNA-Sequenzen, welche in der Zielzelle vorliegen, kann das fremde Gen in das Genom stabil eingebracht werden. Dies geschieht über Rekombination an den übereinstimmenden Sequenzen in der Zelle. Analog hierzu können auch bestimmte Gene ausgeschaltet werden. Mit diesen Methoden werden z.B transgene Organismen hergestellt. Durch das Einbringen bzw. Ausschalten einzelner Gene kann die Funktion des entsprechenden Genprodukts untersucht werden.

Welche Maßnahmen müssen getroffen werden, um DNA in einem funktionsfähigen Zustand über einen möglichst langen Zeitraum zu konservieren?

DNA zeigt wie jede andere chemische Substanz eine gewisse Reaktivität mit Wasser; die Folge dieser Hydrolyse-Reaktionen ist ein Zerfall der DNA-Struktur. Solche Reaktionen können durch Ausschluss von Wasser vermieden werden. Dies ist z.B. bei Bakteriensporen weitgehend der Fall. Hier wird die "Wasserülle" der DNA durch bestimmte, fest an die DNA-bindende Poteine ersetzt. Desweiteren liegt die DNA in einer Konformation (A-Form) vor, welche weniger Kontaktmöglichkeiten mit Wassermolekülen bietet. Hierdurch kann die DNA lange im funktionsfähigen Zustand (bei Sporen einige hundert oder gar tausend Jahre) gehalten werden.

Was sind "dynamische Mutationen"?

Eukaryotische Genome enthalten einen hohen Anteilkurzer (meist Tri- oder Tetranucleotid-Abfolgen) sich wiederholender (repetitiver) DNA-Sequenzen. Repetitive DNA bildet besondere Sekundärstrukturen aus. Solche Strukturen bewirken, dass es bei der DNA-Replikation (durch "Verrutschen" der DNA) zu weiteren Sequenzverlängerungen kommt. Diese Sequenzverlängerungen werden als dynamische Mutationen bezeichnet.

Was versteht man unter Photoreaktivierung?

Die Photoreaktivierung ist eine Form der DNA-Reparatur, bei der durch UV-Strahlung hervorgerufene Pyrimidindimere entfernt werden. Das hierfür zuständige Enzym Photolyase wird selbst durch Licht aktiviert.

Welche Mechanismen gibt es zur Reparatur von DNA-Schäden?

Es gibt prinzipiell unterschiedliche Mechanismen zur Beseitigung von DNA-Schäden. Einige Veränderungen können direkt wieder rückgängig gemacht werden. Das ursprüngliche DNA-Material bleibt erhalten. Hierzu gehört z.B. die Photolyase oder die O6-Alkyl-Guanin-DNA-Alkyltransferasen (AGTs). AGTs erkennen alkylierte Guanin-Basen und übertragen den Alkylrest von der DNA auf das aktive Zentrum, wobei das Enzym irreversibel inhibiert wird (die Verwendung eines Proteins zur Entfernung einer einzigen DNA-Modifikation hebt die Bedeutung hervor, die die Aufrechterhaltung der Integrität der DNA für eine Zelle hat). Bei der Basen-bzw. Nucleotid-Excisions-Reparatur (BER bzw. NER) wird nach dem Erkennen der Schadstelle (modifizierte Basen[BER] oder strukturelle Verzerrungen der DNA [NER]) dieser Bereich mehr oder weniger umfangreich aus der DNA herausgeschnitten und durch Neusynthese ersetzt. Auch bei der Reparatur durch Rekombination wird die beschädigte DNA durch neu gebildete DNA ersetzt. Einzelstrangbrüche werden meist durch homologe Rekombination beseitigt. Doppelstrangbrüche können durch homologe Rekombination repariert werden, sofern eine zweite Gen-Kopie vorliegt. Alternativ können die bei DNA-Doppelstrangbrüchen entstandenen DNA-Enden von spezifischen Proteinen (Heterodimer Ku70/Ku80) erkannt und in räumliche Nähe zueinander gebracht werden. Vor der Ligation werden die Enden noch prozessiert, wobei es zur Abspaltung einzelner Nucleotide kommen kann. Dieser Reparaturmechanismus ist zwar fehleranfällig, stellt aber die Integrität der DNA wieder her.

Wodurch wird die Bedeutung von DNA-Reparaturmechanismen ersichtlich?

Die Wichtigkeit permanent ablaufender Reparaturmechanismen wird deutlich, wenn diese Systeme gestört bzw. inaktiviert sind. Mutationenbestimmter Gene dieser Reparaturmechanismen können beim Menschen schwere Krankheiten auslösen. Das bekannteste Beispiel ist das Krankheitsbild der Xerodermapigmentosum. Ursächlich für diese Krankheit sind Mutationen in bestimmten Genen der Nucleotid-Excisions-Reparatur. Dieser Reparaturmechanismus erkennt Verzerrungen in der DNA-Struktur. Diese bestehen hauptsächlich aus Pyrimidin-Dimeren, welche durch UV-Bestrahlung hervorgerufen wurden. Die Folge ist, dass dem Licht ausgesetzte Hautflächen trocken und pigmentiert sind. Zudem ist das Krebsrisiko drastisch erhöht und dadurch die Lebenserwartung deutlich reduziert. Die einzige Möglichkeit den Krankheitsverlauf zu mildern besteht darin, Expositionen von Hautflächen mit Licht zu vermeiden.

Was ist der Unterschied zwischen Reversion und Suppression?

Bei einer Reversion erfolgt eine Rückmutation an derselben Stelle im Genom, sodass der Wildtyp wieder hergestellt wird. Bei der Suppression entsteht eine weitere Mutation an einer anderen Stelle - dies kann im selben Gen oder an anderer Stelle im Genom sein - wodurch die Auswirkungen der ursprünglichen Mutation aufgehoben werden.

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